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Als ich damals mein Studium begann und voller Elan in meiner ersten Design-Vorlesung saß, erzählte mein Design-Professor uns wie die Welt aus seiner Sicht und die der Zukunftsforscher in einigen Jahren wohl funktionieren soll. Eine Sache ist mir hierbei besonders in Erinnerung geblieben. Er hat davon gesprochen, wie wir Designende uns zukünftig zur „Gestaltung des Nichts“ hin entwickeln und wie graphische Benutzungsoberflächen sukzessive durch neuartige Interfaces abgelöst werden. Es würde nicht mehr nur um Optik und Grafik gehen, sondern primär um »visuelles Verhalten«. Ich wusste nicht so recht, wie ich diese Information interpretieren und was ich davon halten sollte, schließlich wollte ich als angehender Designer Grafisches gestalten – doch heute weiß ich ziemlich genau, was unser Professor damit meinte.

 

Die Evolution des Computers

Schauen wir zunächst auf die gegenwärtige Technologie-Entwicklung: Seit 2007 nutzen wir ein Gerät, dass unser Leben und unseren Alltag massiv prägt. Das Smartphone. Es ist sowohl im Geschäftlichen als auch im Privaten unser stetiger Begleiter. Manchmal hassen wir es, manchmal lieben wir es, manchmal dient es uns lediglich zum Zeitvertreib. Fakt ist, wir sind durch das Smartphone 24/7 online und für alles und jeden erreichbar geworden. Ob dies nun gut oder schlecht ist, will ich im Rahmen dieses Artikels nicht beurteilen. Als Teil unserer Alltagsgegenstände tragen wir es wie den Schlüsselbund oder die Geldbörse ständig bei uns. Mit den mobilen Endgeräten, wie dem Smartphone oder Tablet, hat sich für den Menschen in den letzten Jahren die Art und Weise der Interaktion mit einem Computergerät massiv verändert. Durch das Mobile Computing ist es nun auch für nicht technikaffine Menschen möglich, den Computer fast uneingeschränkt zu nutzen. Wenn ich bedenke, dass meine Eltern beispielsweise noch nie einen Desktop-Computer verwendet haben, seit fast 10 Jahren allerdings mit Tablet und Smartphone erfolgreich amazonen, youtuben, googeln und Artikel im Netz lesen, dann ist dieser fortschreitende Wandel ziemlich eindrucksvoll. Doch aus welchem Grund ist die Bedienung solcher Mini-Computer so einfach und intuitiv geworden?

 

Die nächste Stufe des Graphical User Interfaces

Ein wichtiger Aspekt ist sicherlich der Zugang. Durch Mobile Devices wie dem Smartphone oder Tablet und der damit verbundenen einfachen Nutzung durch Fingergesten, können wir direkt mit dem vorhandenen Inhalt auf Websites und in Apps interagieren. Wir müssen keine Deutgesten mehr via Cursor benutzen, sondern tappen, wischen und zoomen die von uns konsumierten Inhalte. Der Desktop-Computer arbeitet hingegen mit Metaphern zur Interaktion seiner Inhalte: Pfeile, Buttons, Scroll Bars, Ordner, Verzeichnisstrukturen. Die Metaphern oder auch Sinnbilder genannt, waren bei der Entwicklung von User Interfaces ein Meilenstein im Personal Computing. Man versuchte ein virtuelles Abbild der Wirklichkeit zu schaffen. So wurde aus der Schreibtischoberseite der »Desktop«, aus den Akten im Container die virtuellen »Ordner“ und aus den einzelnen Papierstücken und Karteikarten die »Dateien«. Dieses noch immer sehr präsente Interaktionskonzept wird als Graphical User Interface bezeichnet. Doch mit den Jahren wird die Arbeit am Computer immer komplexer, wir erfinden Brückenlösungen, die irgendwann mehr schlecht als recht funktionieren. Und so muss der Anwendende von Jahr zu Jahr mehr dazu lernen und die Computerbedienung wird immer unintuitiver und komplexer. Dieses »zweimal um die Ecke denken und wieder zurück« macht den Nutzenden irgendwann unzufrieden, ineffizient und ineffektiv. Das Natural User Interface (NUI) versucht hingegen den »Visual Noise« von Benutzungsoberflächen zu reduzieren und sich im Kern auf den relevanten Inhalt für den Anwendenden zu fokussieren und ihn als eine Art Assistent kooperativ beim Abschluss seiner Tasks am Computer zu unterstützen.

 

Das NUI Prinzip

Wenn ich als Nutzender einen Text formatieren möchte, muss ich in Microsoft Word noch immer an anderer Stelle (meistens im oberen Teil der Anwendung) die Formatierungseigenschaften aus den drei oder mehreren Menüzeilen suchen – und finde sie hoffentlich, um meine Texte dann fett, kursiv oder in eine andere Schriftgröße zu formatieren. Warum kann ich nicht einfach einen »Tap and Hold« auf den zu formatierenden Text vollziehen und den Text schließlich an Ort und Stelle entsprechend meinen Wünschen formatieren? Warum muss ich am Rechner mit der Maus auf einen Play- oder Pause-Button klicken, um meine Musik abzuspielen oder zu stoppen? Warum macht dies nicht mein Sprachassistent für mich? Oder noch besser: Warum stoppt die Musik nicht einfach nach einigen Sekunden der Inaktivität am Rechner? Genau damit beschäftigt sich das Natural User Interface. Natürliche und intuitive Verhaltensweisen des Menschen sollen auf Apps und komplexe Software adaptiert und smarte kooperative In-App-Services geschaffen werden, während zeitgleich eine direkte und multimodale Interaktion möglich gemacht werden soll.

 

Mein Produkt ist mein Baby

Wir Menschen sind in der digitalen Welt umgeben von Daten, oft sind diese Daten für uns im Moment nicht relevant, aber dennoch in unserem UI sichtbar. Im Falle von Microsoft Word interessiert den Anwendenden zum Großteil ausschließlich das Schreiben auf seinem Dokumentenblatt. Warum muss er dort 20 oder 200 weitere Buttons, Menüleisten und Co. sehen? Die Antwort ist simpel: Weil wir im User Interface Design in der Vergangenheit – leider auch heute noch – jede noch so kleine Funktionalität in unserer Benutzungsoberfläche abgebildet haben. Wir wollen dem Nutzenden zeigen, was unsere Software alles kann. Schließlich hat sie uns viel Geld und Entwicklungsarbeit gekostet. Es ist unser Produkt, unser Baby! Leider sind noch immer viele solcher Benutzungsoberflächen im Umlauf, auch wenn sie von scheinbar innovativen Startups stammen, ganz zu schweigen von den veralteten Softwaresystemen auf Windows-NT-Basis. Getan werden kann noch viel, zu tun gibt es genug.

 

Guidelines für NUIs

Wenn wir unsere Benutzungsoberflächen zukünftig á la NUI gestalten möchten, sollten wir unter anderem folgendes berücksichtigen:

  1. Nur im Moment relevanten Inhalt zeigen – ggf. Inhalte auf mehrere Schritte oder Seiten verteilen
  2. Die Bedürfnisse des Nutzenden kennen (nicht erahnen), und das UI auf ihn anpassen
  3. Content is King – Grafische Elemente auf ein Minimum reduzieren
  4. Mit Gesten statt Grafiken arbeiten
  5. Interaktionsschritte auf ein Minimum reduzieren
  6. Navigationswege auf ein Minimum reduzieren
  7. Kooperative statt interaktive Lösungen für den Nutzenden offerieren (siehe Beispiel Music-Player)
  8. Direkte Interaktion und direktes Feedback anbieten
  9. Den intermedialen Ansatz bei der Gestaltung mitberücksichtigen
  10. Multimodalität berücksichtigen – möglichst viele Sinne mit in die Interaktion einbeziehen

 

Wir und das Natural User Interface

An den bisherigen Äußerungen und Beispielen stellen wir fest, dass im Prinzip weniger »da noch ein Button und hier noch ein Dropdown« gestaltet werden muss, sondern vermehrt Themen wie User Know How, Informationsarchitektur und Smartness in unseren Anwendungen adressiert werden sollten. Wir gestalten also weniger das Aussehen, sondern mehr die Interaktionslogik. Der Schlüssel zur natürlichen und intuitiven Gestaltung von Software sind im Grunde wir selbst. Wenn wir uns als User Experience Designender, Software Entwickelnder, Product Owner oder Stakeholder weniger in vorgegebenen Schein-Prozessen verstricken oder programmatische Brückenlösungen entwickeln würden und uns mehr auf unser »Wie würde ich das jetzt machen?« konzentrieren, würden wir Lösungen schaffen, bei denen der Anwendende viel schneller ans Ziel käme, die geforderte Handlung erfolgreich abschließen und am Ende des Tages nach getaner Arbeit mit einem Lachen im Gesicht und einem großen Lob an die Software-Agentur das Büro verlassen würde.